Sonntag, 5. Oktober 2008

Zur Geschichte des Plakates zur Jahrhundertwende 18/1900

„Alle Mittel sind dem Plakat recht, um sein Ziel zu erreichen: Gefühl, Schmerz, Erotik, Täuschung, Erpressung, Zynismus..., alles außer schamhafter Zurückhaltung. Zu den schönen Künsten steht das Plakat etwa im Verhältnis wie das Freistilringen zu guten Manieren.“

Jean Carlu, zwischen den Weltkriegen


  1. EINLEITUNG
  2. BESTANDSAUFNAHM
  3. DIE ANFÄNGE
  4. DIE ZEIT VON 1870 BIS 1905
  5. Das Plakat jener Zeit
  6. Das französische Plakat
  7. Chéret
  8. Mucha
  9. Das englische Plakat
  10. J. & W. Beggarstaff
  11. Das deutsche Plakat
  12. Lucian Bernhard
  13. Zusammenfassung
  14. QUELLENANGABE
Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit den Plakaten der Jahrhundertwende vom 19./20. Jahrhundert. Hierbei wird von einem Zeitraum bis ca. 1905 ausgegangen.
Hauptsächlich wird die Geschichte der Plakate in Frankreich dargestellt. Gestreift wird sie für Deutschland und England, ausgewählt werden Plakate, die exemplarisch in Hinblick auf das Semester interessant erscheinen.

Bestandsaufnahme


Die vorderseitig zitierten Sätze, kurz und provokant, formulieren ein Verständnis, das auf die Erfahrung der Plakate der Jahrhundertwende fußt und auch vielen Gegenwartsplakaten als Motto dienen könnte. Dabei hatte es das Plakat zunächst, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht leicht: Werbung galt als anrüchig oder unseriös. Der Künstler strebte nach der Darstellung des „Höheren“, kurz: es ging um das Wesen der Kunst. Um sich aber mit dem Plakat als solches beschäftigen zu können, muss der Begriff zunächst abgegrenzt werden. Nach Döring „ist ein Plakat
  • erstens auf Papier gedruckt
  • zweitens wirbt es mit Bild und Text für ein Produkt, eine Veranstaltung oder einen bestimmten Inhalt, und
  • drittens ist es auf Fernwirkung berechnet und auf einen öffentlichen Aushang gedacht“.

Unstrittig ist jedoch, dass es bei jedem Punkt, Material, Inhalt, Form und Funktion betreffend, Ausnahmen gibt:
1. Ein Plakat kann außer auf Papier auch z.B. auf Folie gedruckt oder auf Wände gemalt sein.
2. Es gibt reine Textplakate. Hier übernimmt die Textgestaltung die Aufgabe des Bildes. Umgekehrt gibt es Plakate, die ganz ohne Text auskommen, bei denen also das Bild bereits ohne Text den Werbezweck erfüllt.
3. Manche Plakate sind gar nicht zum Plakatieren gedacht. Sie erfüllen als kalkulierte Kultobjekte Dekorationszwecke oder Sammlerleidenschaften.

Um 1830 waren die technischen und sozialen Voraussetzungen soweit erfüllt, dass sich das Plakat, so wie wir es heute kennen, entwickeln konnte:
  • Das Papier kam zwar im hohen Mittelalter nach Europa, doch war handgeschöpftes Bütten einfach zu teuer. Erst 1799 wurde in Frankreich eine Maschine zur Herstellung von Papier erfunden. Die entscheidende Voraussetzung zur massenhaften und billigen Produktion von Papier erfüllte jedoch erst die Verwendung von Holzschliff als Rohmaterial seit 1844.
  • Weitere Schwierigkeiten verursachte der großformatige Druck. Experimente erfolgten in den bis dahin bekannten Techniken: Holzschnitt, Schablonendruck und Lithografie.
  • Ein echter Bedarf für das Plakat entwickelte sich zuerst in der Großstadt. Auftraggeber waren in erster Linie die Theatergesellschaften und Verleger, besonders in Paris und London (kulturelle Plakate). Nach 1850 wurde die Werbung für Lebensmittel, Haushaltwaren und andere Produkte relevant. Das Warenangebot vergrößerte sich, die neuen Artikel suchten Konsumenten (Werbeplakate). Politische Plakate erlangten erst im Gefolge des ersten Weltkrieges Bedeutung. Sie sollen hier ausgelassen werden.

Für das laufende Semester, das sich mit Plakaten der Jahrhundertwende beschäftigt, sind in erster Linie solche mit künstlerischem Anspruch relevant. Plakate also, die einen persönlichen Stil des Künstlers oder eine gestalterische Originalität aufweisen.

Die Anfänge


Die Entwicklung des Plakates ist eng an den Fortschritt der Drucktechnik gebunden. Der Begriff des „Plakates“ stammt aus dem französischen „placard“ (Schriftfeld über einem Portal) und bekommt seine Bedeutung als „obrigkeitlicher Anschlag“ aus der Mitte des 16. Jahrhunderts . Dabei ist damals der stummen Mitteilung des Plakates die lautstarke Botschaft des Ausrufers vorausgegangen, der mit „Pauken und Trompeten“ dem größtenteils analphabetischen Publikum die Inhalte darlegte .
1837 wurde die Farblithografie erfunden, ihre Verbreitung dauerte jedoch noch über ein halbes Jahrhundert. Nach der Julirevolution 1830 fanden sich in Paris künstlerisch gestaltete Plakate im Folioformat (bis 45 cm hoch), die über die bis dato bekannte einfache Schriftgestalt hinausgingen. Auf ihnen warben Verleger in Schaufenstern für ihre Bücher. Die Plakate, die zunächst wie vergrößerte Titelseiten schienen, zeigten Bilder in Form von Zeichnungen als Schwarzweißlithografien. Die Bilder wurden wie Vignetten zwischen den Text und die Titelzeile gesetzt.
Ein Durchbruch gelang dem Pariser Drucker Rouchon, der Techniken des Tapetendrucks für das Plakat verwendete. So gelang es ihm in einer Kombination aus farbigen Schablonen und Holzschnitten Plakate bis zu zwei (!) Metern Höhe anzufertigen. Allerdings blieben die Plakate eigentlich „…herkömmliche Druckgrafiken, die auf größeres Papier geklebt und um die Texte ergänzt wurden.“

Im folgenden sollen nun exemplarisch zwei Plakate gezeigt werden, welche die Entwicklung bis in die 1870er Jahre gut aufzeigen.
Am obenstehenden Beispiel von Émy wird deutlich, wie man sich die Plakate jener Zeit vorstellen muss. Die Blätter waren für den Innenraum gedacht. Schwarz gedruckte Lithografien wurden aquarelliert. Die Bilder illustrieren den Text. Dieser wurde normalerweise in einem eignen Druckvorgang schwarz gesetzt. Die „typo-lithografische“ Presse konnte ab 1867 den lithografischen Farbendruck mit dem Letterndruck verbinden. Ein weiteres Beispiel, welches das Plakatverständnis jener Zeit gut illustriert, ist das

von Wilhelm Heuer. Dabei ist eine Innen-aufnahme des Ausstattungshauses das Zentralmotiv. Man sieht aber gleichzeitig die Vorder- und Hinteransicht des Gebäudes und die Filialen in Shanghai und Yokohama. Personifizierte Darstellungen des seefahrenden Handels und des fleißigen Spinnens (Ikonografisch) dokumentiert durch den Bienenkorb) krönen das Bild. Gleichzeitig rahmen sie die in fünf verschiedenen Lettern gesetzte Überschrift.
Als wesentliche Erkenntnisse für die Gestaltung dieser Plakate lässt sich zusammenfassen:
1. Schrift und Bild stehen in einem abgegrenzten Verhältnis: Entweder rahmt das Bild die Schrift oder die Schrift das Bild. Beide sind künstlerisch nicht aufeinander bezogen.
2. Die Plakate wirken überladen und verspielt. Die Ikonografie orientiert sich an vielen Details, erscheint wie ein Bilderbuch, überfordert den Betrachter. Es fehlt die Reduktion auf die wesentliche Werbebotschaft in Bild und Wort.
3. Die Textformulierungen sind nicht effizient.
4. Die Plakate demonstrieren eher technische Machbarkeit als künstlerische Möglichkeiten. Sie sind technisch einwandfrei und für diese Zeit hochaufwendig hergestellt, lassen aber durch ein historiezierendes Schönheitsverständnis keinen Raum für künstlerische Innovation.
5. Die Plakate Wirken durch das Übereinanderdrucken vieler unterschiedlicher Farbplatten im Chromolithografieverfahren im Gesamtton bräunlich und wirken im farblichen Sinne nicht auffällig.
3 Die Zeit von 1870 bis 1905

3.1 Das Plakat jener Zeit

Die Zeit zwischen 1870 bis 1905 beschreibt beeindruckend den Durchbruch des Plakates. Sie brachte die „Affichomanie“ , die Plakatsucht, der 1890er in Paris und den nachfolgenden Siegeszug des künstlerischen Plakates in ganz Europa. Die Gründe lagen nicht zuletzt in der erfolgreichen Industrialisierung Nordamerikas, Englands, Frankreichs und Mitteleuropas und der damit entstandenen zweiten Stufe der Globalisierung, die zu einem ausgeprägten internationalen Handel führte. Es entstand Werbung im markttechnischen Sinne: Kaufappelle für Dienstleistungen, Produkte usw., die aus Bild und Wort bestanden. Werbemittel sollten den unüberschaubar gewordenen Markt strukturieren, indem sie ein einziges Produkt hervorhoben. Urban schließt aus dieser Warenkonkurrenz eine Werbemittelkonkurrenz, die dazu führte, dass Werbung Selbstzweck wurde. So entstanden Betrachtungen über Werbung: Erforschungen ihrer Mechanismen, wissenschaftliche Erkenntnisse, Werbepsychologie usw. usf. Dann war auch von optischer Qualität und Gestaltung die Rede. In Paris wurden Plakate in Zeitschriften besprochen, wobei es nicht um die Auftraggeber ging, sondern um Komposition, Farbe und Zeichnung . Wir befinden uns bei dieser Betrachtung am Ende der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts.
Griffige, also effiziente, Textformulierungen in Verbindung mit ebensolcher Typografie setzten sich Ende des 19. Jahrhunderts unter amerikanischer Federführung durch. Um die Jahrhundertwende entstand der Beruf des „Reclamegestalters“ . Dabei bestand dessen Hauptaufgabe darin, einen formqualitativ-ästhetischen Stil zu finden, der prägnant-informativ war. Das Verbale sollte entweder visuell unterstützt werden oder direkt auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Betrachters positiv einwirken. Sind diese Ansprüche an die Plakatgestaltung auch heute durchaus relevant, waren sie doch vor dieser Zeit nicht möglich. Jetzt erst wuchs durch Künstler wie z.B. Chéret, Toulouse-Lautrec und Mucha die Plakatreklame als legitime Verwandte der Kunst heran. Wesentlich dafür war nach URBAN die „Befreiung aus stilistischen, motivlichen und wirtschaftlichen
Konventionen…“ die es „…den Künstlern im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts möglich [machte], ihr Interesse mehr nach dem großstädtischen Leben auszurichten. Die Betriebsamkeit der Hauptverkehrsstraßen, moderne Verkehrsmittel bis hin zur Dampfschiffahrt sowie die Welt der Industrie
wurden für die Kunst ‚darstellungswürdig’.“.

Künstler, die an diesem modernen Leben teilnahmen, stellten ihre Kunst in den Dienst des Plakates: Theater, Variete, Zirkus, Tänzer …, alles wurde zum Bildmotiv. Ein Ort, in dem genau diese künstlerische Assimilation des modernen Lebens stattfand, wie an keinem zweiten, war Paris. Henry de Toulouse-Lautrec leitete mit dem damals unglaublich großem Plakat für das « Moulin-Rouge » 1891 die Ära des Künstlerplakates ein.
Chéret bezog als erster die Beschriftung in die Darstellung mit ein. Er zeichnete seine Titelzeilen häufig mit in das Bild hinein. Auch er gilt als einer der Pioniere des modernen Bildplakates.

Eine weitere Quelle der Formenwelt des Plakates der Jahrhundertwende war der „Art Nouveau“ (Jugendstil). Dieser verarbeitete Gestaltungsprinzipien afrikanischer Kunst und besonders des japanischen Holzschnitts. Ein Hauptvertreter ist der aus Mähren stammende und zeitweise in Paris lebende Alfons Mucha, der mit seinem ersten Plakat für die Pariser Schauspielerin Sarah Bernhardt die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht (vgl. Abbildung im entsprechenden Kapitel).

Die englischen Maler James Pryde und William Nicholson haben unter dem Pseudonym Beggarstaff Brothers Plakate geschaffen, die zu den bedeutendsten der Plakatgeschichte überhaupt zählen . Sie entwarfen seit 1894 einige wenige Plakate mit reduzierter Beschriftung in großen, strengen Kompositionen, deren Neuigkeit gegenüber Chérets Kompositionen bereits den Zeitgenossen auffiel.

Um die vorletzte Jahrhundertwende (19/20. Jh.) entwickelte sich in Berlin die grafische Gestaltung unter dem Einfluss der Werbebe-dürfnisse einer europäischen Metropole. Die
Plakate Max Klingers im „Renaissancestil … [wichen] … stilisiert-reduzierten, prägnant-farbigen Plakaten mit trockenem, gut verständlichem Bildwitz“ . Im größten Ballungskern zwischen Paris und Moskau entstand eine eigene Bildsprache, die im Stile
Bernhards den Jugendstil überwinden konnte und mit dem Münchener Hohlwein die ersten flächigen modernen Plakate erschuf.
3.2 Das französische Plakat

In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das Plakat in Paris zu einem eigenem künstlerischen Genre. Mit Künstlern wie Toulouse-Lautrec, Chéret und Mucha u.a. begann die große Zeit des französischen Plakates, das für Europa beispielhaft wurde und seine Spuren bis nach Amerika hinterließ . Als weiterer Aspekt bleibt die Vision der künstlerischen Bildung der Massen durch das Plakat. Französische Schriftsteller prägten bezüglich der Plakate den Terminus „Museum der Straße“ . Man sah also mit dem Plakat die Möglichkeit, gewissermaßen durch eine „Kunstgalerie auf der Straße“, zur Hebung des Kunstverständnisses der Menschen beizutragen, die sonst nicht mit Kunst in Berührung kamen.
Exemplarisch werden hier Plakate von Chéret und Mucha behandelt.

3.2.1 Chéret
Jules Chéret vereinigte in seiner Person mehrere Faktoren, die ihn gleichsam dafür prädestinierten, die Auffassung vom Plakat zu revolutionieren. Der in Paris geborene und gelernte Lithograf gründete nach mehreren Englandaufenthalten, wo er neue Techniken des großformatigen Farbendruckes kennenlernte, 1866 eine eigene Druckerei. Dort installierte er englische Maschinen. Er entwickelte rationelle und effektive Druckmethoden mit einem schwarz druckenden Lithostein für die Zeichnung. Des Weiteren benutzte er einen rot gefärbten Stein und einen dritten, den er teils grünblau, teils gelb einfärbte. So erschienen die Plakate für die damalige Zeit ungewöhnlich bunt und lebendig. Nach 1890 wurden aus den drei oder vier Farben fünf oder mehr. Das exakte Übereinanderdrucken der zentnerschweren Lithografiesteine war kein Problem mehr .
Chérets große Vorbilder waren französische und venezianische Rokokomaler des 18. Jahrhunderts, besonders Tiepolo. Wehende Kleider mit bauschigen Ärmeln, gestreifte Stoffe wurden auf kräftigen, sich nach hinten auflösenden Farbfeldern, häufig ein tiefes Blau hinterfangen. 1889 wird sein Werk durch eine große Ausstellung auf der Pariser Weltausstellung geehrt und anerkannt. Seine besten und schönsten Plakate entstanden, nach Döring zwischen 1889 und 1895, auch wenn sein Werk mit durch das Schaffen Toulouse-Lautrecs keineswegs mehr zu den fortschrittlichen gehört. Bis 1896 stellte Chéret fast 1000 Plakate her .
Was war das Neue an Chérets Plakaten?
Chéret sah das Plakat als modernes Medium der Außenwerbung. Dazu gehört , „die Beschränkung des Textes zugunsten der bildhaften Aussage und seine Angleichung an die Komposition; die Verwendung weniger kontrastierender Farben, die unter freiem Himmel und auf große Distanz hin ihre

Faszination ausüben; die Vergrößerung des Plakatformates; die Konzentration der Darstellung auf ein attraktives Motiv, meist in Gestalt einer Frau, die als Vermittlerin der Werbebotschaft, dem Angesprochenen unbewusst die Aufmerksamkeit auf den Zweck der Werbung lenkt.“

Wenn man das hier gezeigt Plakat von Chéret für die Zigarette JOB mit den im Punkt zwei gezeigten Plakaten vergleicht, stellt man leicht fest, welchen plakattechnischen Quantensprung der Künstler geleistet hat. Deutlich wird die Wirkung der reinen Farben, die Plakat selbst in der hier vorliegenden Reproduktion noch wirken lassen und eine Ahnung davon geben, wie beeindruckend die Wirkung der frohen, bunten Farben vor ca. 115 Jahren gewesen sein muss, als dieses Plakat die Pariser Bauzäune zierte. In leuchtendem Gelb, gekonnt hinterfangen von tiefem Blau erstrahlt die rauchende Schöne mit rotem Haar, die uns einen koketten Blick über die Schulter zuwirft und lässig an der Zigarette zieht, deren Name in roten geschwungenen Lettern links über ihr erscheint. Deutlich wird die Schrift in die Gesamtkomposition einbezogen, indem sie die Drehung der jungen Dame aufgreift.

3.2.2 Mucha
Der aus Mähren stammende und ab 1888 in Paris lebende Alfons Mucha erschuf Plakate, die im krassen Gegensatz zu den bis dahin in Paris entstandenen Plakaten stand. Durch das Einbeziehen byzantinischer Elemente schuf er eine auffallend elegante Variante des Art Nouveau und kreierte einen ganz eigenen Stil – den „Style Mucha“.
Die Plakate Muchas sind eng mit der Schauspielerin Sarah Bernhart verbunden. Als gefeierte Schauspielerin und Leiterin des Théatre de la Renaissance fertigte Mucha auf ihren Wunsch hin eine Reihe von Plakaten an.

Das Bildbeispiel auf Seite XI ist exemplarisch. Typisch ist das schlanke Hochformat des Plakates. Die in Lebensgröße gezeigte Bernhardt erscheint jugendlich idealisiert. Sie steht wie eine Statue in einer Nische. Dieser Eindruck wird durch die mosaikartige Beschriftung und den dunkelbraunen Halbkreis hinter dem Kopf der Bernhardt verstärkt. Die Fläche ist ornamentreich gemustert und mit gebrochenen Farben versehen. Außerdem stehen die Farben auffällig in Kontrast zur reichen Verwendung von Gold und Silber, wirken aber durch die Gelb- und Blautöne mediterran. Kalligrafisch verschlungene und überzeichnete Linien verstärken den Eindruck großer Kostbarkeit und verbreiteten die „Faszination des Fremdartigen“ . Mit dem Einsatz dieser künstlerischen Mittel erreicht Mucha eine kultbildhafte Stilisierung der Bernhardt, die sich auch in anderen Plakaten fortsetzt. Dabei fällt auf, dass der Künstler nicht das umworbene Produkt in den Mittelpunkt stellt, sondern eine seiner idealisierten Frauengestalten, die eher nebenbei auf das Produkt hinweisen. Diese Frauen werden zum ornamentalen Bestandteil seiner Plakatkompositionen.

Mucha und Cheret sind die ersten Protagonisten eines neuen Künstler-Typs, Künstler, deren Ruhm ausschließlich mit dem Plakat verbunden war . Ein weiteres Beispiel für solche Künstler sind die Schwäger Beggarstaff aus England.

3.3 Das englische Plakat

In England und den USA gab es relativ früh große Bildplakate für wirtschaftliche Zwecke. So entstanden z.B. schon Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerika große Plakate, die bis zu vier Meter breit waren . Sie wurden in relativ grober Holzschnitttechnik vervielfältigt und mittels Schablonen koloriert. Diese Plakate erregten durch ihre schiere Größe und Farbigkeit Aufmerksamkeit, nicht durch klare Gliederung oder künstlerische Gestaltung.
Die Impulse, die den „Poster Boom“ 1894 in England auslösten, kamen aus Frankreich und wurden durch die amerikanischen großen, lebhaften Beschriftungen zusätzlich inspiriert. Dadurch entwickelte sich rasch ein unverwechselbarer eigener Stil des englischen Plakatdesigns. Die Lettern wurden blockhaft und fett gesetzt, farblich akzentuiert und häufig schräg positioniert. Typisch für das Plakat jener Zeit waren Figuren, die sich vor großen Farbflächen befinden. Weiterhin sind häufig und anekdotische oder humoristische Motive gezeigt worden.

3.3.1 J. & W. Beggarstaff

James Pryde (1869 –1941) und sein Schwager William Nicholson spezialisierten sich nach ihrem Akademiestudium auf Holzschnitte und Zeichnungen. Beide waren mittellos und sahen im Plakat die einzige Möglichkeit, auf großen Formaten arbeiten zu können. Der Pseudonym Beggarstaff sollte ihnen dabei helfen. Beide entwarfen unter diesem Namen zwischen 1894-1899 ungefähr zwanzig Plakate, von denen nur sieben gedruckt wurden . Diese sieben gehören, wie Döring an der selben Stelle erwähnt, allerdings zu den wichtigsten und seltensten Werken der Plakatkunst.
Den ersten Auftrag vermittelte den Künstlern ihr Freund , der Schauspieler Edward Gordon Graig. Er ging mit dem Theater der W.S.Hardy – Company auf Tour. James & William Beggarstaff porträtierten ihn im Profil in seiner Rolle als Hamlet, in der Friedhofszene des fünften Akts (vgl. Abbildung S.XIII). Dieses Plakat schockierte englische Sehgewohnheiten in mehrfacher Hinsicht:
1. verzichteten sie auf die in England typischerweise verwendeten grellen Farben;
2. benutzten sie keine übersteigerten Posen;
3. erreichten sie die Wirkung auf Grund der flächigen Darstellung und des Verzichts auf Details.

Zunächst bleibt das ungewöhnliche Format festzustellen. Dies allein ist geeignet, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Hamlet hat eine konzentrierte Haltung, die von der Kritik hochgelobt wurde und zu den stilbildenden Rollenporträts der Kunstgeschichte gehört. Die schlichte Farbwahl, aus der die mystische Wirkung des Plakates resultiert, unterstreicht die radikale Klarheit, auch bezüglich der Schrift, in der dieses Plakat gestaltet wurde. Die Künstler verwendeten ausgeschnittene, gefärbte Papiere, welche die stark vereinfachte Kompositionsfindung unterstützt haben dürfte.
Interessant ist auch die aus der Not geborene Form der Vervielfältigung: als Plakathintergrund wurde billiges braunes Papier verwendet, gleichzeitig bestimmte die Breite der Papierrolle die des Plakates. Auf diesen Hintergrund wurden die drei Farben mit Schablonen per Hand gedruckt und die Buchstaben einzeln gesetzt .

Die hier beschriebene Plakatauffassungen der Beggarstaffs beeinflusste später das Werk Lucian Bernhards und wurde dadurch für die Entwicklung des modernen Sachplakates in Deutschland sehr wichtig.
3.4 Das deutsche Plakat

Die Ausgangssituation für das Plakat in Deutschland war zunächst ungünstig, es galt schlicht als unfein . Neben der vergleichsweise spät erfolgenden Industrialisierung und dem damit verbunden Wachstum von Großstädten setzte sich auch die Trennung von hoher „freier“ und niederer Kunst erst spät durch. Beginnend mit der Reformbewegung um 1900 und des Jugendstils fingen einige Artisten an, sich mit der Gebrauchsgrafik zu beschäftigen. Künstler, wie z.B. die Künstlervereinigung „Brücke“ begannen mit Plakaten für ihre Ausstellungen zu werben. Es waren vor allem repräsentative Anlässe, wie große internationale Kunstschauen, Gewerbe- und Industrieausstellungen, für die in erster Linie mit künstlerisch gestalteten Plakaten geworben wurde. Der Pariser Einfluss war zweifellos auch für die Entwicklung des deutschen Plakates entscheidend .

3.4.1 Lucian Bernhard
Lucian Bernhard wird als der Schöpfer des deutschen Sachplakates angesehen.
Er kam 1901 nach Berlin und wurde u.a. Mitglied des Deutschen Werkbundes . Nach 1905 begann er, das Sachplakat in der für ihn typischen Form zu entwickeln. Beispielhaft ist das Plakat „Bosch [Zündkerzen]“ (siehe Seite XV).
Das umworbene Produkt, hier eine Zündkerze, wird auf einem einfarbig Orangen Hintergrund isoliert und in möglichster Klarheit präsentiert. Allerdings wird bei genauem Hinsehen deutlich, dass es sich bei der Abbildung der Zündkerze nicht um eine sachliche Wiedergabe im fotografischen Sinne handelt, sondern um eine Zeichnung, die das Objekt von Details befreit. Dabei wird die Kerze auf flächenhafte schwarz-weiß Schattierungen reduziert. Die so entstehenden Schattenzonen lassen die Kerze räumlich erscheinen. Der grüne, genauso stilisierte Blitz, der die Kerze im Moment der Zündung zeigt, verleiht dem Plakat Dynamik. Kerze und Blitz bilden durch ihre schräge Anordnung mit dem blauen Schriftzug (Komplementärkontrast zum Hintergrund) eine einfache Dreieckskomposition. Die Kerze und Teile des Blitzes sind angeschnitten, daraus folgt im Auge des Betrachters eine zusätzliche Dynamisierung. Die Schrift beschränkt sich auf den Markennamen.
Durch diese zeichnerische Umsetzung in Verbindung mit den dargestellten Mitteln erreicht Bernhard eine Stilisierung und die Monument-alisierung des Produktes.
Vor dem Hintergrund vergleichbarer Produktwerbung zu dieser Zeit, die mit Allegorien überfrachtet war und auf denen süßliche Schönheiten als Blickfänger dienten, ist es nicht verwunderlich, dass dieser Stil rasch Nachahmer fand und sich in Deutschland und über seine Grenzen hinweg verbreitete. Auch in Bezug auf die damals übliche umständliche Beschriftung der Plakate, wird die von Betrachtern damals empfundene Sachlichkeit verständlich.
Die Reduktion von Text und Bild auf nur ein Element , Name und Produkt, „wurden zum Markenzeichen Bernhardscher Prägnanz“ Besonders in Amerika, wo Bernhard ab 1925 ein Atelier und Werbebüro führte. Er lehrte auch an New Yorker Universitäten. Das Berliner Atelier wurde 1933 von den Nazis geschlossen.
4 Zusammenfassung

An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, dass die Auswahl der Plakate exemplarisch ist und den Betrachtungszeitraum keineswegs umfassend abdeckend kann. Das war auch gar nicht beabsichtigt. Es kann festgestellt werden, dass das Plakat u.a. durch die Einflüsse der hier besprochenen Künstler, um die Jahrhundertwende seine wesentlichen, noch heute gültigen Gestaltungsmerkmale erfuhr:

1. Schrift und Bild sind künstlerisch aufeinander bezogen und streng komponiert;
2. Reduktion auf die wesentliche Werbebotschaft in Bild und Wort;
3. Effiziente, auf das Wesentliche zielende Textformulierungen;
4. Die Plakate sind Raum für künstlerische Innovation.
5. Die Plakate sind im farblichen Sinne auffällig.

Betrachtet man die dargestellten Plakate der Jahrhundertwende nach ihrem Innovationsgehalt, ergibt sich folgende Stufung:

1. Chéret bezieht die Schrift in die Bildkomposition mit ein und wird durch die künstlerische Konzeption seiner Plakate zu einem der Väter des Kunstplakates;
2. Mucha idealisiert und stilisiert Personen für Werbezwecke;
3. die Beggarstaffs reduzieren und simplifizieren die Form und überspitzen in Hinblick auf die Werbeaussage;
4. Lucian Bernhard reduziert Wort und Bild auf das Nötigste und läutet so die Moderne in der Plakatgestaltung ein.

Die in dieser Zusammenfassung dargestellten Gesichtspunkte bilden die Grundlage des Wissens, über das im folgenden verfügt weden sollte.
5 Quellenangabe

Anna, S.: Historische Plakate 1890 – 1914. Chemnitz – Stuttgart, 1995.
Buchheim, L.: Jugendstilplakate. Feldafing, 1969.
Döring, J.: Plakatkunst von Toulouse-Lautrec bis Benetton. Hamburg, 1994.
Möller et all: Das frühe Plakat in Europa und den USA – ein Bestandskatalog. Band 1: Großbritannien, Vereinigte Staaten von Nordeuropa. Berlin, o.J.
o.A.: Verführungen: Plakate aus Österreich und Deutschland. Wien, Berlin, Hamburg, 1999.
o.A.: Plakatausstellung Hamburg. Katalog. Hamburg, 1896.
Thon, Ch.: Das frühe Plakat in Europa und den USA. Berlin, 1973.
Urban, D.: Plakate – Posters. München 1997.
Wember, P.: Die Jugend der Plakate. Krefeld, 1982.

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